Unter dem Aktenzeichen Nr. 10995 erging am 3. Juni 1899 eine Anordnung des Großherzoglichen Oberschulrats, "Die Reifeprüfung am Mädchengymnasium hier betr.": "Die Direktion der Höheren Mädchenschule - Abteilung Mädchengymnasium - dahier wird beauftragt, alsbald die Notentabelle der Oberprima samt Personalien (Geburtstag, Geburtsort, Wohnort, Konfession, Stand des Vaters, künftiger Beruf) anher vorzulegen. Anzuschließen ist eine Übersicht der in den letzten beiden Jahren behandelten Unterrichtsstoffe in sämtlichen Fächern unter Benennung der Fachlehrer."
Die nüchterne Aufzählung der organisatorischen Details lässt einen routinemäßigen Verwaltungsakt vermuten. Allein die Tatsache jedoch, dass überhaupt ein solcher Erlass erschien, war alles andere als selbstverständlich und bezeichnet in Wirklichkeit eine Neuerung, die vielerorts mit Spannung erwartet wurde: Zum erstenmal im Deutschen Kaiserreich nämlich sollten Schülerinnen nach einer regulären Gymnasialausbildung das Abitur ablegen. Lediglich in Berlin hatten bereits 1896 einige Schülerinnen über dreijährige Gymnasialkurse, die auf dem vollständigen Besuch der Höheren Mädchenschule aufbauten, das Abitur bestanden. Die hiesige Lösung dagegen ließ die gymnasiale Ausbildung der Mädchen bereits nach der Unterstufe der Höheren Mädchenschule beginnen und glich sie damit weitgehend an das Knabengymnasium an.
Der Zugang zum Abitur bildete in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine wichtige Forderung der Frauenbewegung; denn dieses war die Voraussetzung, um an einer deutschen Universität zum Studium zugelassen zu werden. Nur über die Universitätsausbildung wiederum waren die gesellschaftlich angesehenen und gut bezahlten typischen Berufe des Bildungsbürgertums wie Jurist, Arzt, Gymnasiallehrer u.a. zu erreichen. Sie hatte deshalb im Deutschen Kaiserreich einen hohen Stellenwert. Entsprechend hoch waren gerade hier auch die Widerstände gegen die Forderung nach Zulassung der Frauen zum Universitätsstudium. Andere europäische Länder und etliche Staaten der USA waren in diesem Punkt großzügiger; sie erlaubten den Zugang zur Universität auch ohne Abiturzeugnis nach einer Eingangsprüfung (dagegen wurde in Deutschland nur in ganz wenigen Fällen eine Ausnahmegenehmigung erteilt). Dies ist jedoch nicht unbedingt als Ausdruck einer frauenfreundlicheren Haltung zu interpretieren, sondern rührt daher, dass das Universitätsstudium für den Zugang zu den gesellschaftlich angesehenen Berufen nicht die gleiche Bedeutung hatte wie im Deutschen Kaiserreich.
Aus mehreren Gründen wuchs jedoch in Deutschland der Druck auf die Regierungen der einzelnen Länder, die Gymnasialausbildung für Mädchen zu öffnen: In unmittelbarer Nähe, in der Schweiz, konnten Frauen seit 1865 studieren, und in Deutschland selbst erhöhte sich in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts die Zahl unverheirateter und damit finanziell unversorgter Frauen des Bürgertums, da die Zahl der Bewerber um die gut bezahlten akademischen Berufe zu dieser Zeit viel höher als die verfügbaren Stellen war und deshalb viele Männer erst spät eine Familie gründen konnten. Andererseits fürchtete man mit der Zulassung der Frauen zum Universitätsstudium natürlich auch einen verstärkten Konkurrenzdruck um die ohnehin knappen Stellen. Deshalb waren auch die Widerstände gegen Mädchengymnasien weiterhin groß.
Dies erfuhr auch der Verein "Frauenbildungsreform" unter seiner Vorsitzenden Hedwig Kettler, der 1888 mit dem Zweck, die Gymnasialbildung für Mädchen durchzusetzen, gegründet wurde. Die Petitionen, die er in dieser Sache an die Regierungen der verschiedenen Länder schickte, wurden zunächst überall abgelehnt. Auch eine erneute Petition 1891 erhielt rundum Absagen, mit einer Ausnahme: In Karlsruhe entschloss man sich, ein Mädchengymnasium zu genehmigen, das der Verein auf privater Basis führen sollte. So konnte 1893 der Unterrichtsbetrieb mit einer ersten Klasse im Gebäude der Volksschule, Waldstraße 83, aufgenommen werden. Das mit vielen Hoffnungen einerseits und Skepsis andererseits begleitete Projekt drohte in den ersten Jahren jedoch mehrmals zu scheitern. Bereits nach zwei Monaten musste der als Lateinlehrer und Leiter der Schule berufene Professor Haag aus Bern aufgeben. Seine Konzeption eines Lateinunterrichts, der aufbauend auf den Französischkenntnissen schon nach kurzer Zeit zur Lektüre lateinischer Schriftsteller führen sollte, erwies sich als nicht durchführbar und wurde sogar zum Anlass des Gespötts in der satirischen Zeitschrift "Kladderadatsch". Auch danach kam die Schule nicht zur Ruhe. Häufige Unterrichtsbesuche Neugieriger und Interessierter ebenso wie Mängel in der Organisation des Unterrichts (wegen der wenigen Klassen konnten nur nebenamtliche Lehrkräfte eingestellt werden, und die organisatorische Leitung der Schule lag beim Sitz des Vereins in Hannover) bewirkten, dass ein kontinuierliches Arbeiten nur schwer möglich war. Die Zahl der Schülerinnen sank rapide. Als im Jahr 1897 keine neue Eingangsklasse zustande kam, drohte der Schule die Schließung. Die Stadt Karlsruhe erklärte sich jedoch bereit, die Schule in städtische Verwaltung zu nehmen und an die Höhere Mädchenschule in der Sophienstraße 14 als gymnasialen Zweig anzugliedern. Es kam zum Bruch mit der Vereinsspitze in Hannover, aber das Überleben der Schule war gesichert.
Als dann im Frühsommer 1899 die erwähnten organisatorischen Vorbereitungen für das erste Abitur getroffen werden konnten, war dies auch ein Zeichen für die geglückte Konsolidierung des Gymnasiums. Vier von ursprünglich 28 Schülerinnen hatten über die schwierigen Anfangsjahre hinweg durchgehalten und standen vor dem Abschluss. Zum "Kommissarius der Oberschulbehörde" wurde mit Erlass vom siebten Juni 1899 der Geheimrat und Direktor des Knabengymnasiums Dr. Gustav Wendt bestimmt. Er stand dem Projekt des Mädchengymnasiums wohlwollend gegenüber und äußerte sich in einem anschließenden Bericht sehr positiv über die Schülerinnen und ihre Leistungen.
Die schriftlichen Prüfungen sollten zeitgleich mit denen des Knabengymnasiums stattfinden. Der erste Prüfungstag, Montag, der 19. Juni, begann aber offensichtlich mit einer kleinen Panne: Wie das Protokoll vermerkt, findet die Eröffnung programmgemäß um 7 Uhr 15 statt, die Prüfungsaufgaben treffen aber erst um 9 Uhr 10 ein. Da die Arbeitszeit für den deutschen Aufsatz auf fünf Stunden angesetzt ist, wird beim Oberschulrat um Erlaubnis gefragt, die Prüfung auf Freitag zu verschieben. Nachdem der positive Bescheid eingetroffen ist, werden die Schülerinnen für diesen Tag wieder entlassen. Die restlichen Prüfungen laufen wie vorgesehen ab. Am Dienstag, 20. Juni, wird fünf Stunden lang Mathematik geprüft, am Mittwoch vormittags drei Stunden lateinischer Stil (Übersetzung vom Deutschen ins Lateinische) und nachmittags zwei Stunden Übersetzung aus dem Lateinischen, am Donnerstag zwei Stunden Übersetzung aus dem Griechischen, und am Freitag wird schließlich noch der deutsche Aufsatz nachgeholt. Nur hier wird ein Thema gewählt, mit dem man wohl die besondere Interessenlage der weiblichen Prüflinge berücksichtigen wollte. Es lautet: "Der Einfluss veredelnder Weiblichkeit auf ihre Umgebung, gezeigt an Goethes Iphigenie". Am 19. Juli schließlich findet die mündliche Prüfung statt. Eine der Karlsruher Zeitungen, der "Badische Landesbote", bringt in der Ausgabe vom 22. Juli eine kurze Notiz. Das Ereignis wird auf eine Weise gewürdigt, die nochmals die nur knapp überstandenen Krisen und die verbreitete Skepsis über den Erfolg der Schülerinnen anklingen lässt: "Die vier Schülerinnen des Karlsruher Mädchengymnasiums, welche sich dem Abiturientenexamen unterworfen, haben dasselbe bestanden. Dies Resultat, dass sämtliche (!) Schülerinnen durch angestrengten Fleiß das Ziel erreichten, ist um so erfreulicher, als bei Übernahme des Gymnasiums durch die Stadt in Folge der bestehenden Verhältnisse die Aussicht auf das Bestehen des Examens sehr geringe war."
Damit war der Durchbruch geschafft. Die Anerkennung des Abiturs durch die Behörden verzögerte sich allerdings noch, sie erfolgte erst am 28. Februar 1900 und zwar nur versuchsweise, galt aber rückwirkend auch für das Wintersemester 1899/ 1900, zu dem die ersten Abiturientinnen im Vorgriff auf eine positive Entscheidung schon zugelassen worden waren. Erst 1904 erfolgte die endgültige, für die Zulassung zum Staatsexamen notwendige Anerkennung in Baden; Preußen folgte 1908. Zu diesem Zeitpunkt war die Verbreitung der Gymnasialbildung für Mädchen schon weiter fortgeschritten. In Karlsruhe wurde bald der Platz im Schulgebäude knapp; deshalb zog der gymnasiale Zug mit einem Teil der Höheren Mädchenschule 1911 in ein neues Schulgebäude in der Sophienstraße 147. Auch andere Städte folgten bald dem Beispiel Karlsruhes; sie gewährten Mädchen Zugang zu Knabengymnasien oder gründeten ebenfalls Mädchengymnasien.