Das Lessing-Gymnasium ist eng mit der Geschichte der Mädchenbildung verbunden. 1893 wurde in Karlsruhe das erste Mädchengymnasium Deutschlands gegründet. Allmählich wuchs die Zahl der Schülerinnen so stark, dass das Gebäude in der Sophienstraße 14, wo die Höhere Mädchenschule und der gymnasiale Zug untergebracht waren, zu klein wurde. So wurde ein neues Gebäude in der Sophienstraße 147 errichtet, das 1911 vom Gymnasialzug und einem Teil der Höheren Mädchenschule bezogen wurde. Auf Anregung des damaligen Direktors, Geheim. Hofrat Friedrich Keim, wurde es nach dem Dichter Gotthold Ephraim Lessing benannt. 1973 wurde dann die Koedukation eingeführt.
Die ersten Mädchen, die in Deutschland Abitur machten und damit die Zulassung zum Hochschulstudium erreichten, hießen: Rahel Goitein, Johanna Kappes, Auguste Mainzer und Magdalena Meub. Sie bestanden vor über 100 Jahren die erste staatliche Reifeprüfung am gymnasialen Zweig der Höheren Mädchenschule in der Karlsruher Sophienstraße. An diesen Meilenstein in der Geschichte der Frauenbildung erinnerte das Lessing-Gymnasium (diesen Namen trägt das ehemals erste Mädchengymnasium Deutschlands seit 1951) in seiner Abschlussfeier für die diesjährigen Abiturientinnen und Abiturienten.
Die Festrede hielt eine ehemalige Schülerin des Gymnasiums: Klaudia Martini, Umweltministerin in Rheinland-Pfalz. Ihr Abitur vor 30 Jahren war in die Zeit gefallen, als der frische Wind der 60er für gesellschaftlichen Wandel sorgte. Gymnasium nur für Akademikerkinder? Überholt! Abiturfeier, schwarze Kleider, kluge Reden? Alte Zöpfe - weg damit! Und Emanzipation war für die Schülerinnen eigentlich kein Thema. Im "Lessing" als - damals noch - reinem Mädchengymnasium gab es keine männliche Konkurrenz und kein Messen an traditionellen Rollenbildern. Mädchen, die an Naturwissenschaften Interesse hatten, Jura, Medizin studieren wollten, waren etwas ganz Normales - so wie heute.
Rahel Goitein hätte das gefreut. Im deutschen Kaiserreich war Bildung für Frauen etwas Unerhörtes und Unerwünschtes. Der Verein "Frauenbildungs-Reform" hatte mit seinen Petitionen für die Einrichtung von Mädchengymnasien erst im liberalen Baden Gehör gefunden. Weil der Karlsruher Stadtrat das Projekt unterstützte und Unterrichtsräume zur Verfügung stellte, konnte 1893 das erste deutsche Gymnasium für Frauen gegründet werden. Nun war der Weg zu akademischen Berufen auch für Frauen geebnet. Alles, was für Abiturientinnen von heute selbstverständlich ist, hat vor 100 Jahren in Karlsruhe seinen Anfang genommen.