Am 17. Oktober 2024 fand ein Zeitzeugengespräch mit Frau Dr. Maria Rave-Schwank über die Karlsruher Euthanasie-Opfer statt. Im Folgenden lesen Sie Berichte aus unterschiedlichen Perspektiven von Herrn Kubacki, Frau Hirt sowie von den Schülerinnen Sarah Ehle und Josefa von Podewils.

Bericht von Herrn Kubacki (Lehrer)

Bereits im Mai dieses Jahres erreichte mich eine Anfrage, ob wir uns vorstellen könnten, die ehemalige Lessing-Schülerin sowie langjährige Leiterin der Psychiatrie Karlsruhe, Frau Dr. Rave-Schwank, in unsere Abendveranstaltung Aula Lessing einzuladen. Allein diese beiden Eigenschaften der inzwischen fast neunzigjährigen Dame würden unsere Schülerinnen und Schüler beeindrucken. Als ich mich jedoch etwas näher mit ihrer Biographie auseinandersetzte und erfuhr, dass sie neben ihrer Funktion als Ärztin den Karlsruher Euthanasieopfern der Nazizeit mit ihrer unermüdlichen Recherche wieder ein Gesicht gibt und die Erinnerung an diese Verbrechen wachhält, verwarf ich den Gedanken an eine Abendveranstaltung. Einem derart bewegenden und wichtigen Thema in Zeiten wieder aufkommender Diskriminierung von Minderheiten durch Populisten musste mehr Gehör verschafft werden. Und so luden die Fachschaften Religion und Ethik Frau Dr. Rave-Schwank zum Gespräch mit der kompletten Jahrgangsstufe 2 während der Unterrichtszeit ein. Unseren Abiturientinnen und Abiturienten sollten die Schilderungen über die Verbrechen der Nationalsozialisten an psychisch Kranken und Behinderten in Karlsruhe nicht vorenthalten werden. Welche Eindrücke die zutiefst bewegende Veranstaltung hinterließ, davon erzählen die Lehrerin Patricia Hirt sowie die Schülerinnen Sarah Ehle und Josefa von Podewils in den folgenden Berichten.

Bericht von Frau Hirt (Lehrerin)

Außergewöhnliches Zeitzeugengespräch: Dr. Maria Rave-Schwank erzählt am Lessing-Gymnasium von den Karlsruher Euthanasie-Opfern 

Am Donnerstag, den 17. Oktober 2024, fand am Lessing-Gymnasium ein außergewöhnliches Zeitzeugengespräch statt, das sowohl die Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 12 als auch viele anwesende Lehrkräfte tief bewegte. Die fast 90-jährige ehemalige Chefärztin und Leiterin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin am Städtischen Klinikum Karlsruhe berichtete den Schülerinnen und Schülern in einer Doppelstunde von der sogenannten Aktion T4 in Baden und insbesondere von den Karlsruher Euthanasie-Opfern in der Zeit des Nationalsozialismus. Zwischen 1940 und 1945 wurden im Deutschen Reich mindestens 250.000 Seelisch Kranke und Behinderte ermordet, darunter waren mehr als 600 Karlsruher Opfer.
In ihrem Vortrag schilderte Dr. Maria Rave-Schwenk eindrücklich die systematische Ermordung von Menschen, die als „lebensunwert“ angesehen wurden, ausgehend von den Anfängen der „rassenhygienischen Bewegung“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts, deren Ideen sich 1933 im Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses niederschlugen, von der Propaganda der Nationalsozialisten im Hinblick auf die sog. „positive“ und „negative“ Eugenik sowie den Zwangssterilisierungen in den 30er Jahren, bis hin zum Abtransport der Kranken in den „grauen Bussen“.

Die Schülerinnen und Schüler lauschten gebannt den Ausführungen der Zeitzeugin, deren klare und strukturierte Sprache sowie ihr profundes Wissen alle im Raum beeindruckten. Es war ein Vortrag, der nicht nur Fakten vermittelte, sondern auch die emotionalen und menschlichen Dimensionen der NS-Verbrechen ins Zentrum rückte.

Ein weiterer Gast an diesem Vormittag war Matthias Mergner, der 2007 den ersten Stolperstein für ein Karlsruher Psychiatrie-Opfer – seinen Urgroßvater Johannes Hohl – verlegen ließ. Mit seiner Geschichte zeigte er, wie wichtig es ist, die Erinnerung an diese Opfer wachzuhalten und ihnen ein Gesicht zu geben, da in seiner Familie, wie in vielen anderen, das Schicksal der Verstorbenen verschwiegen wurde und erst nach langen und mitunter mühsamen Recherchen ans Licht kam.

Im Anschluss an den Vortrag moderierten zwei Schülerinnen eine Fragerunde, bei der die Jugendlichen die Möglichkeit hatten, ihre eigenen Gedanken und Fragen zu formulieren. Es entwickelte sich ein Austausch, bei dem sowohl die Schüler als auch die Lehrkräfte in den Bann der Erzählungen gezogen wurden.

Die Bedeutung solcher Veranstaltungen kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Sie erinnern uns daran, dass Geschichte nicht nur aus Daten und Fakten besteht, sondern aus menschlichen Schicksalen, die nicht vergessen werden dürfen. Das Zeitzeugengespräch am Lessing-Gymnasium wird den Anwesenden sicherlich noch lange im Gedächtnis bleiben.

Dr. Maria Rave-Schwank hat in langjähriger Arbeit zusammen mit Angehörigen von Opfern und Fachleuten in der Karlsruher Gruppe der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychatrie (DGSP) sowie mit dem Stadtarchiv Karlsruhe 372 Karlsruher Opfer identifiziert und ihnen und allen anderen Opfern in dem Buch „Gegen die Macht des Vergessens“ ein Denkmal gesetzt. Seit 2022 stehen auf dem Karlsruher Hauptfriedhof, auf dem Ehrenfeld B2, neun Stelen, die an die Karlsruher Opfer der Euthanasie erinnern.

Bericht von den Schülerinnen Sarah Ehle und Josefa von Podewils (J12)

Eine Zeitzeugin in unserer Schule? Die Vorstellung, jemanden zu treffen, der die Vergangenheit so hautnah miterlebt hat, ließ viele Fragen in meinem Kopf aufkommen: Wann ist sie geboren? Was hat sie erlebt? Hatte sie ein Familienmitglied, das aufgrund des Euthanasieprogramms starb?

Als ich schließlich am Computer saß, um mich auf das Treffen vorzubereiten, fand ich heraus, dass sie Direktorin einer psychiatrischen Anstalt war und eine prägende Rolle im Aufarbeitungsprozess in Karlsruhe spielte. Die Entdeckung, wie lange psychische Erkrankungen verschwiegen oder gar nicht behandelt wurden, erschreckte mich zutiefst. Umso bewundernswerter fand ich es, dass sie sich so intensiv dafür eingesetzt hatte, diese Missstände zu verbessern und darüber aufzuklären.

Ihr Vortrag über das T4-Programm war sehr aufschlussreich. Weil Euthanasie im Schulunterricht meist nur ein Randthema ist, konnten wir alle dabei viel Neues lernen und unser Wissen auffrischen. Die Ausmaße der nationalsozialistischen Ideologie wurden mir erneut in ihrer vollen Tragweite bewusst. Frau Rave-Schwank konnte uns nochmal einen neuen Eiblick in diese grausame Zeit geben. Ihre Erzählungen waren eindringlich und zeigten mir, dass persönliche Schicksale oft viel mehr aussagen können als der reguläre Geschichtsunterricht. In Anbetracht dessen, dass Zeitzeugen zunehmend sterben, war es ein besonderes Privileg, dass sie uns besuchte.

Der Vortrag von Frau Rave-Schwank hat mir, vor allem im Nachhinein, eine neue Perspektive auf die Nazizeit eröffnet, die ich so nicht durch meine Großeltern oder den Unterricht erhalten hatte. Natürlich wusste ich, wer von den Nazis verfolgt und ermordet wurde, aber Frau Rave-Schwanks Schilderungen zur spezifischen Opfergruppe der psychisch Kranken und die Organisation dieses Programms erweiterten mein Verständnis deutlich. Beeindruckend war auch, wie sich die Folgen der Euthanasie noch lange in ihrem beruflichen Alltag zeigten. Ihre persönlichen Erlebnisse und Schilderungen sind mir besonders in Erinnerung geblieben.

Zuletzt merkte man, wie erfreut Marie Rave-Schwank war über das Interesse so vieler junger Menschen. Ihre Begeisterung und ihr Engagement haben nicht nur mich, sondern vermutlich alle Anwesenden inspiriert.