Der Leistungskurs Deutsch der J11 beschäftigt sich zur Zeit mit der Literatur der Jahrhundertwende. Hierbei bleibt es nicht nur bei der reinen Lektüre der um das Jahr 1900 herum entstandenen Gedichte – die Schülerinnen und Schüler waren vielmehr aufgefordert, im Unterricht eigene Poesie zu verfassen. Die Resultate finden Sie im Folgenden.
Als Vorlage diente Rilkes Sonett „Dame vor dem Spiegel“, dessen inhaltliche sowie formale Struktur den ästhetischen Rahmen für die Eigenkreationen vorgab. Die Ergebnisse der in Gruppenarbeit verfassten Parallelgedichte finden Sie hier:
Das Mädchen vor dem Handy (Februar 2024)
Schweren Schrittes kam sie heim,
Erschöpft von ihrem langen Tag
Griff das Handy und unterlag,
Dem Schein jemand anderes zu sein.
Ihre Hand streicht wie eine sommerliche
Brise, das Haar über die Schulter zurück.
Das Handy zeigt ihre Schönheit nur ein Stück.
Sucht nach ihrem Glück. Fieberlich
Denkt sie darüber nach
Die Kritik der andern flimmernd vor sich
Wie er wohl über sie urteilen mag.
Zum Essen schallt es aus dem Nebenraum,
Dämmernd eines Lichtes schlich
Die Erkenntnis zurück in meinen Traum.
(von Sarah, Lina, Ipek & Maja)
Ein Augenblick voll Perfektion (Februar 2024)
Der Auftakt der drei Töne
erklingt wie ein Tatendrang
und erweckt unser Verlang‘
zu zeigen all das Schöne.
Kontrollierender Blick
über seidendes Haar und glänzende Haut,
der uns den letzten Gedanken klaut.
Das Lächeln, dann der Klick
und misstrauische Augen betrachten
das Abbild der Verstellung,
löschen nur um es neu zu verachten
bis schließlich der perfekte Moment
dann die Darstellung
als eine Traumwelt verkennt.
(von Letizia, Josefa, Elisa & Lena)
Dame vor dem Spiegel (1907)
Wie in einem Schlaftrunk Spezerein
löst sie leise in dem flüssigklaren
Spiegel ihr ermüdetes Gebaren;
und sie tut ihr Lächeln ganz hinein.
Und sie wartet, daß die Flüssigkeit
davon steigt; dann gießt sie ihre Haare
in den Spiegel und, die wunderbare
Schulter hebend aus dem Abendkleid,
trinkt sie still aus ihrem Bild. Sie trinkt,
was ein Liebender im Taumel tränke,
prüfend, voller Mißtraun; und sie winkt
erst der Zofe, wenn sie auf dem Grunde
ihres Spiegels Lichter findet, Schränke
und das Trübe einer späten Stunde.
(von Rainer Maria Rilke)